Bersenbrücker Kreisblatt, Ausgabe vom 06.Dezember 2008,
Seite 17, Resort Lokales
Frische Bildungsbrise für den Nordkreis?
Kommunen beraten über Einrichtung eines
Fachgymnasiums
– Meinungen und Hintergründe
Von Cristina Schwietert und
Jürgen Ackmann Altkreis
Bersenbrück. Es ist
derzeit „das“
bildungspolitische Thema im Nordkreis – die Einrichtung eines
Fachgymnasiums für die Region. Derzeit sitzen die
Verantwortlichen in den Samtgemeinden häufiger zusammen, um
über das Wie, Wann und Ob zu sprechen.
Fachgymnasium? Das ist eine besondere Form der gymnasialen Oberstufe.
Im Fachgymnasium gibt es sogenannte Fachpraxiskurse, die berufsbezogene
Profilfächer vertiefen. Voraussetzung für den
dreijährigen Bildungsgang ist ein erweiterter
Sekundarabschluss I nach Klasse 10, wie er an einer Haupt- und
Realschule oder einem allgemeinbildenden Gymnasium erworben werden
kann. Das Abitur wird dann nach 13 Schuljahren erreicht. Mit dem
Fachabitur erwirbt der Schüler die allgemeine Hochschulreife,
das heißt, er kann dann, unabhängig von der
besuchten Fachrichtung, jedes Fach an den Unis studieren.
Dieses Bildungsangebot ist – dort, wo es bereits eingerichtet
ist – besonders bei Realschülern beliebt. Auch
für den Nordkreis wird ein Fachgymnasium von den vielen
Entscheidungsträgern als Chance erachtet, möglichst
viele Jungen und Mädchen schulisch möglichst weit zu
bringen. Gleichwohl gibt es viele offenen Fragen – zum
Beispiel zum Standort. Soll das Fachgymnasium in Bersenbrück
konzentriert werden? Oder ist eine dezentrale Organisation
möglich? Antworten auf solche und andere Themen
müssen die Verantwortlichen nun suchen. Wie Schulleiter,
Bürgermeister und Wirtschaft denken, zeigen die Stellungnahmen
auf dieser Seite. Verschaffen Sie sich einen ersten Überblick
über eine zukunftsweisende Debatte.
Position 1: AGQ
Schulleiter Manfred Ernst:
„In der Kontroverse um die
Einrichtung eines Fachgymnasiums im Nordkreis geht es – auf
den Punkt gebracht – um das Ringen von Schulen um
Schüler, deren Anzahl rückläufig ist.
Letztendlich sind dabei zwei Schulen betroffen: die Berufsbildenden
Schulen Bersenbrück und das Artland-Gymnasium
Quakenbrück, das im Vergleich zu anderen Gymnasien relativ
klein ist, aber zurzeit noch ein breites und gutes Angebot offerieren
kann. Andere weiterführende Schulen sind durch die Einrichtung
eines Fachgymnasiums zwar auch betroffen, in der Existenz ihrer
größeren Oberstufen aber nicht gefährdet.
Durch ein Fachgymnasium wird das AGQ Schüler verlieren und die
jetzt schon kleine Oberstufe dieser Traditionsschule
geschwächt. Würde das AGQ auf diese Weise
geschwächt und in einigen Jahren möglicherweise in
seinem Bestand gefährdet, so würde auch das Artland,
also die Region, darunter leiden. Die Verantwortung dafür
liegt bei der Politik als Entscheidungsträger.
Wir werden uns bemühen, unsere Angebote für
Realschulabsolventen noch attraktiver zu gestalten und unsere
Schüler weiterhin gut auf das Berufsleben vorzubereiten,
sodass auch hiesigen Unternehmen gut ausgebildete Kräfte zur
Verfügung stehen.“
Position 2: BBS
Schulleiter Thomas Kohne:
„Das Fachgymnasium stellt vor allem
für gute Realschüler einen interessanten Weg zur
allgemeinen Hochschulreife dar. Die Lerninhalte des Zentralabiturs
werden an anschaulichen Beispielen der Berufspraxis vermittelt. In
einer Umfrage aus dem Frühjahr 2008 bekundeten viele
Schüler ihr Interesse an diesem Weg. Dies ist nicht
erstaunlich, denn im Vergleich zu den Nachbarkreisen ist der Anteil der
Fachgymnasiasten sehr gering. Als Schulleiter der BBS
Bersenbrück halte ich die Gründung eines
Fachgymnasiums für absolut wünschenswert, um noch
mehr Schülern den Zugang zu einer akademischen Ausbildung zu
ermöglichen. In dieser Einschätzung werde ich von
vielen Firmen gestärkt, die zur Rekrutierung des betrieblichen
Nachwuchses die Einrichtung eines Fachgymnasiums
befürworten.“
Position 3: IGS
Schulleiter Gerald Wieziolkowski: „Dass ein fachgymnasiales
Angebot im Nordkreis sinnvoll ist, bestreitet kein Teilnehmer der
Bildungsdebatte, die zurzeit so intensiv geführt wird. Eine
dezentrale Lösung (Bersenbrück, Quakenbrück,
Fürstenau) erscheint sinnvoll, da der Nordkreis selbst
dezentral gegliedert ist. In Bersenbrück sind die
Voraussetzungen für den technischen Zweig gegeben, in
Quakenbrück könnten die Schüler des
Wirtschaftszweigs an ein bewährtes Bildungsangebot
(Artland-Gymnasium) andocken, in Fürstenau würde das
fachgymnasiale Angebot der Fachrichtung Gesundheit und Soziales auch in
das Emsland hinein die Attraktivität eines Fachgymnasiums im
Nordkreis steigern. Diese Fachrichtung ist insbesondere auch
für Mädchen attraktiv, wie die Erfahrungen anderer
Fachgymnasien zeigen. Die Zahl der Bewerber liegt
regelmäßig über der der vorhandenen
Plätze, wie das Beispiel der BBS Haste in Osnabrück
zeigt.
Die Einrichtung der Fachrichtung ‚Gesundheit und
Soziales‘ kann ohne nennenswerten Aufwand erfolgen. An der
Integrierten Gesamtschule in Fürstenau sind zudem
Fachkräfte vorhanden, die einen Teil des geforderten
Unterrichts in Pädagogik abdecken könnten.“
Position 4: Gymnasium Bersenbrück
Schulleiter Peter Seeger: „Die Frage nach der Einrichtung
eines Fachgymnasiums mit drei unterschiedlichen Fachrichtungen wird
getragen von dem verständlichen Wunsch, die Bildungslandschaft
im Nordkreis zu optimieren. Ohne jeden Zweifel würde ein
Fachgymnasium das Bildungsangebot nicht unwesentlich bereichern,
böte es doch besonders den im Nordkreis beheimateten
Realschulabsolventen eine nicht uninteressante Variante in der Wahl
ihrer weiteren Schullaufbahn. Vielleicht kommt ein fachlich
ausgerichtetes Gymnasium auch bestimmten Neigungen oder einseitigen
Begabungen besser entgegen als ein allgemeinbildendes. Insofern bieten
die beabsichtigten Fachrichtungen Technik, Gesundheitswesen und
Wirtschaft diesen Schülern eine Alternative zum
„traditionellen“ Gymnasium an.
Allerdings kann in einer langfristig ausgerichteten Bildungspolitik
diese Frage nicht ohne Rücksicht auf den Bestand der
vorhandenen Gymnasien gesehen werden. Das allgemeinbildende Gymnasium
mit seinem „langen Lehrgang“ von Klasse 5 bis
Klasse 12 ist für die entsprechende Schülerschaft und
deren Eltern ohne Alternative.
Jede Kommune ist deshalb gut beraten, diese erfolgreiche Schulform
ortsnah in beiden Sekundarstufen vorzuhalten. In unserem Bereich
geschieht das durch den Landkreis, der in Bramsche,
Bersenbrück und Quakenbrück Gymnasien mit gutem
Angebot vorhält. Dieses gilt es unbedingt und ohne jede
Einschränkung zu wahren.
Vor diesem Hintergrund ist nun zu prüfen, ob und inwiefern ein
Fachgymnasium diese Erfordernisse gefährden kann. Das
Gymnasium Bersenbrück ist in dieser Hinsicht in seinem Bestand
sicher nicht gefährdet, wird aber auf Dauer
Oberstufenschüler in einer Größenordnung
von mindestens zwei Klassen verlieren – insbesondere die am
Gymnasium Bersenbrück mit einem besonderen
pädagogischen Konzept geführte Realschulklasse
wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
endgültig verloren. Dieses hätte
naturgemäß Auswirkungen auf das Oberstufenangebot,
insbesondere auf das musisch-künstlerische Profil, das dann
aufgrund der nicht mehr ausreichenden Schülerzahl entfallen
müsste.
Ob unter jenen angenommenen Umständen unser Gymnasium die vom
Kultusministerium besonders hervorgehobene naturwissenschaftliche
Ausrichtung mit jeweils zwei Leistungskursen in Physik und Chemie wird
halten können, muss stark in Zweifel gezogen werden.
Aufgrund der demografischen Entwicklung muss langfristig mit noch
erheblicheren Einschränkungen gerechnet werden, beispielsweise
auch in den AG-Bereichen Musik, Theater und Sport, also von
Einrichtungen, die die ganzheitliche Erziehung der Schüler am
Gymnasium Bersenbrück mitbestimmen und der Schule ihr
spezifisches Profil verleihen.
Bei der Entscheidung über ein Fachgymnasium sollten diese
Aspekte, die sehr viele Eltern und Schüler beträfen,
nicht übersehen werden.“
Position 5: Die Wirtschaft
Stefan Delkeskamp, geschäftsführender Gesellschafter:
„Unternehmer- wie Arbeitgeberverbände klagen zu
Recht, dass der Nachwuchs insbesondere an Technikern und Ingenieuren,
aber auch an Betriebswirten und Informatikern nicht einmal ausreicht,
die ausscheidenden Fachkräfte in den nächsten Jahren
zu ersetzen, geschweige denn eine wirtschaftliche Expansion zu
ermöglichen. Ebenso fehlen allenthalben ausgebildete
sozialpädagogische Fachkräfte für die
beschlossene und nach skandinavischem Vorbild sehr erfolgreiche
frühkindliche Erziehung.
Absolventen eines Fachgymnasiums sind besser auf das Studium und den
Beruf vorbereitet – Studienabbrüche kommen
nachweislich seltener vor.
Über duale Studiengänge und entsprechende
Betriebspraktika während der Zeit auf Fachgymnasien kann der
Nachwuchs besser an ein Unternehmen gebunden und somit dem
Fachkräftemangel, insbesondere in einer ländlichen
Region wie dem nördlichen Osnabrücker Land,
entgegengewirkt werden.
Es gilt daher, regional verbundenen Nachwuchs ausreichend zu
qualifizieren und ihn in alle Richtungen zu fördern. Dass ein
ausdifferenziertes System einer gymnasialen Oberstufe vor Ort als
weicher Standortfaktor für die Industrie von großer
Bedeutung ist, zeigen schon allein die Erfolge dieser Schulform in
allen benachbarten Landkreisen. Warum wollen wir auf diese
Standortvorteile verzichten?“
Position 6: Die Kommunen
Bürgermeister Reinhard Scholz (Artland): „Ein
fachgymnasiales Angebot ist eine zeitgemäße
Erweiterung des regionalen Bildungsangebotes. Es trägt auch
dazu bei, qualifizierte Schulabgänger und
Arbeitskräfte für die Wirtschaft in der Region zu
gewinnen und zu sichern. Das AGQ ist wesentlicher Bestandteil des
regionalen Bildungsangebotes und ein entscheidender Standortfaktor
für das Mittelzentrum Quakenbrück, das Artland und
den Nordkreis. Als kleinstes Gymnasium des Landkreises wäre
das AGQ bei insgesamt sinkenden Kinderzahlen von einem
zusätzlichen Angebot an einem anderen Standort am
stärksten betroffen und mittelfristig vielleicht sogar
gefährdet. Aus diesem Grund ist es für mich
unverzichtbar und Bedingung für jede Entscheidung, dass ein
fachgymnasiales Angebot auch am Standort Quakenbrück
eingerichtet wird.“
Bürgermeister Peter Selter (Fürstenau):
„Ein Fachgymnasium ist ein zeitgemäßes
Bildungsangebot. Durch die Kooperation der leistungsfähigen
Schulen in unserer Region können wir unsere Bildungslandschaft
zukunftsfähig aufstellen. Dabei bietet die dezentrale
Organisation eines Fachgymnasiums in Bersenbrück,
Quakenbrück und Fürstenau eine große
Chance. Wegen der großen pädagogischen Nähe
zwischen einem Fachgymnasium und der Bildungsarbeit an der IGS bietet
sich die Kooperation mit der IGS in Fürstenau besonders an.
Ein gemeinsames Ziel der Nordkreisgemeinden ist es, auch im
Bildungsbereich den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen
– Stichwort Ilek. Die dort gelebte Bereitschaft, unter
anderem Bildungspolitik vor Standortpolitik zu stellen, muss auch
für die Frage eines Fachgymnasiums gelten.“
Bürgermeister Dr. Michael Lübbersmann
(Bersenbrück): „Die Fachgymnasien gehören
einfach in unsere Zeit – entsprechende Forderungen aus der
Politik und der Wirtschaft sind sehr deutlich hörbar. Die
Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften ist
groß und wird mit Blick auf den gegenwärtigen
demografischen Wandel noch weiter steigen.
Die Abiturientenquote in Deutschland ist im Vergleich zum
europäischen Ausland deutlich niedriger. Um international
wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir auch hier
nachziehen. Das Fachgymnasium ist hier in der heutigen Zeit ein
notwendiges Angebot. Es ist insbesondere auch ein Angebot an die
Realschüler.
Wir brauchen in unserer Nordkreis-Region deshalb ein Fachgymnasium als
Angebot eines modernen Bildungsmarktes.“